Schwäbische Zeitung online (07.07.2009 00:06)
Blutreiter-Gemälde entfachen Kontroverse
WEINGARTEN - Bei der Museumsnacht in Weingarten hat der Künstler Jürgen Frankenhauser-Erlitz in der Vhs Ölbilder über den Blutritt ausgestellt. Mit provokanten Darstellungen will er den Blick auf die vermeintlichen Schattenseiten des heiligen Rituals lenken. Die Reaktionen: Was den einen die Freiheit der Kunst ist, empfinden andere als geschmacklos.
Das Bild hängt hinten rechts in der Ecke des Raumes, doch das Hochformat zieht unweigerlich die Blicke auf sich. Es zeigt das nackte Hinterteil einer auf allen Vieren knieenden Frau. Auf ihrem Rücken sitzt ein Blutreiter. Während "Ross" und Reiter Richtung Basilika rutschen, findet die Frau noch Zeit, die Pferdeäpfel aufzukehren.
Harter Stoff, den der Künstler so erklärt: "Beim Blutritt ist es doch so: Die Frauen machen die Arbeit - und die Männer haben das Vergnügen."
Keine Frage, so hat den Blutritt noch niemand gezeigt. Mit so viel nackter Haut, mit den Gläubigen in teils devoten, teils lächerlichen Positionen. Provokation und Einspruch garantiert.
Noch ein Beispiel: Der Wohnraum eines Paares, diesmal sitzt die nackte Frau mit Blutreiterzylinder oben. Ihr nackter Mann mit Pferdegeschirr im Maul mimt den Gaul, während ihm ein Engelchen eine Spritze in den Hintern verpasst. "Es ist bekannt, dass die Blutfreitag-Pferde zur Beruhigung gespritzt werden", erklärt der Künstler die bizarre Szene. Noch ein Beispiel: Der Kopf des gekreuzigten Jesu ist mit einem Tuch verhüllt, sein Blut tropft ins Kirchenschiff. Unten sitzt ein Männlein mit Narrenkappe und Regenschirm. Am Regenschirm perlen die Bluttropfen ab. "Am Blutfreitag laufen Dinge, die nicht mit dem Glauben vereinbar sind", erklärt dazu Jürgen Frankenhauser-Erlitz. Das Bild thematisiere das damit einhergehende Wegschauen.
Provokation hat zwei Ursachen
Das halbe Dutzend großformatiger Gemälde der Ausstellung ist gut und mit Könnerschaft gemalt, die Interpretationen sind schlicht und fern jeder Wertung nachvollziehbar. Die Provokation hat zwei Ursachen, eine Inhaltliche und eine Formale: Was rund um den Blutfreitag geschieht, sofern nicht Religion, ist Tabu, öffentliche Debatte zumeist unerwünscht. Überdies wühlt die schonungslose Darstellungen des Malers auf, verbunden mit der Frage: Darf Kunst so weit gehen?
"Für Kunst gibt es keine Grenzen", sagt Frankenhauser-Erlitz. "Die einzige Grenze ist die Geschmacklosigkeit." Diese Haltung wirft ein weiteres Problem auf - denn über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.
Das haben auch die Besucher am Samstag getan. Köpfschüttelnd die einen, haben die anderen den Dialog mit dem Künstler gesucht, das Gezeigte hinterfragt. "Es kamen auch Blutreiter, die sich den Bildern gestellt haben", freut sich Jürgen Frankenhauser-Erlitz.
Hinter die Kulissen der Prozession hat zuvor schon Douglas Wolfsperger in seinem Film die "Blutritter" geblickt, allerdings auf subtile Weise. "Die Bilder des Filmes sprechen für sich", sagt Wolfsperger auf SZ-Anfrage. Will sagen: Scheinbar Harmloses kann Botschaften enthalten, die reine Dokumentation reicht, um diese zu transportieren. Zum Thema "Grenzen" sagt der Filmemacher: "Da verlasse ich mich auf meine Intuition." Die wird er auch brauchen bei seinem zweiten Teil über die Blutreiter, den er plant, denn ein Schwerpunkt soll auf dem Thema "Homosexualität und Blutritt" liegen.
"Wir haben beim Heilig-Blut-Fest am Sonntag viel über Wolfspergers Vorhaben diskutiert", sagt Manfred Roth, Vorsitzender der Blutfreitagsgemeinschaft Weingarten. Sorge, das heilige Ritual könne verunglimpft werden, habe die Gemeinschaft aber nicht. Die Bilder von Jürgen Frankenhauser-Erlitz kennt er nicht, grundsätzlich gibt Roth aber zu bedenken: "Die künstlerische Darstellung des Blutfreitags ist ein sensibles Thema. Vor allem wollen wir nicht veralbert oder karikiert werden."
Dass Religion und Karikatur hochbrisant sein können, haben nicht zuletzt die dänischen Karikaturen über Mohammed gezeigt, die in einer bis heute anhaltenden Staatskrise mündeten. "Die Frage ist doch, wo beginne ich andere Menschen zu verletzen", sagt Heilig-Blut-Reiter Pater Pirmin Meyer vom Kloster Weingarten über das Spannungsfeld zwischen Kunst und Religion. Wer diese dünne Grenze überschreite, so der Pater, schade nicht zuletzt sich selbst, denn: "Wer das Heilige verächtlich macht, trifft Gott. Und wer Gott trifft, trifft auch sich selbst."
Jürgen Frankenhauser-Erlitz nimmt in Anspruch, das Ritual mit seiner Kunst eben nicht herablassend zu begleiten. "Ich stehe zu Brauchtum und Blutfreitag und bin auch selber schon mitgeritten." Das schließe aber eine kritische Auseinandersetzung nicht aus.
Oberbürgermeister Markus Ewald schlägt in diesem Sinne vor, eine weitere Ausstellung in Betracht zu ziehen, in der sich der Künstler dem Publikum stellt: "Erklärungen eines Künstlers haben schon oft Missverständnisse ausgeräumt." Was Jürgen Frankenhauser-Erlitz angeht, sagt Ewald: "Ich kenne ihn, er hat auch schon für die Stadt gearbeitet. Ich bin mir sicher, dass er niemanden verletzen will."
Sicher nicht, die Provokation liegt Frankenhauser-Erlitz allerdings im Blut, der nicht das erste Mal mit seiner Kunst aneckt und sagt: "Ich bin es gewohnt, beschimpft zu werden."
Bleibt die Gretchenfrage: Wie weit darf Kunst gehen? Und: Hat Jürgen Frankenhauser-Erlitz eine Grenze, welche auch immer, überschritten? Fragen, für die es wohl keine abschließenden Antworten gibt, weil ein jeder seine eigenen findet.
Dirk Grupe
Schwäbische Zeitung, Ausgabe Ravensburg vom 04.07.2010
„Plätz am Fiedla“: Der Kopf kann lügen – sein Gegenteil nicht
WEINGARTEN / dg Der schon wieder, werden nun einige maulen und meckern, beziehungsweise haben es schon getan. Der Künstler Jürgen Frankenhauser-Erlitz hat zum Kindertag im Weingartener Fasnetsmuseum einen „Plätz am Fiedla“-Anstecker entworfen. Für die einen ein herrlich närrischer Spaß – für die anderen eine Provokation.
Von unserem Redakteur Dirk Grupe
Das Heilig-Blut, es steht bei Jürgen Frankenhauser-Erlitz im Wohnzimmer. Nein, gestohlen, wie die Hauptfigur in Martin Walsers Novelle „Mein Jenseits“, hat er die Kostbarkeit nicht, sondern eine kunstvolle Nachfertigung von Jürgen Hohl erstanden. „Ich weiß noch nicht, was ich damit mache“, sagt der Künstler, „aber das Heilig Blut fasziniert mich.“ Fasziniert auf eine Weise, die nicht jedem gefällt. Vor genau einem Jahr bei der Museumsnacht in Weingarten sorgte er für einen, nennen wir es mal: Skandal.
Er zeigte in der Volkshochschule großformatige Gemälde zum Thema Religion und vor allem dem Blutritt, mit provokanten Motiven. Zu sehen war beispielsweise eine nackte Frau auf allen Vieren, ein Mann, ebenfalls nackt, mit Pferdegeschirr im Maul, Jesus mit verhülltem Kopf, sein Blut tropft ins Kirchenschiff und vieles mehr, zu dem nicht wenige die Hände über den Kopf schlugen und ausriefen: „Oh mein Gott, so etwas geht doch nicht.“
Sogar der Prior von Weingarten schrieb einen Leserbrief an die „Schwäbische Zeitung“, warf dem Maler vor, er habe die Grenzen des Geschmacks weit überschritten. Nun landen wieder Leserbriefe bei der „Schwäbischen Zeitung“, obwohl diese noch gar nicht über den aktuellen „Skandal“ berichtet hat. Deftig auch diesmal die Darstellung, doch es geht nicht um Religion, sondern – den Allerwertesten.
Einen „Plätz am Fiedla“-Anstecker, ein praller Hintern (Fiedla) also, spärlich bedeckt mit einem roten und einem weißen Plätzle sowie einer Narrenkappe.
„Ich kann wirklich nicht verstehen, weshalb die Leute sich darüber aufregen“, sagt Frankenhauser-Erlitz, „meine erste ,Plätz am Fiedla‘-Ausstellung habe ich doch schon 1997 gemacht.“ Damals auch in Weingarten, auch mit Kritik begleitet, aber aus einem guten und noch immer gültigen Grund gezeigt: „Das Hinterteil hat seit jeher einen festen Platz in der Fasnet und darüber hinaus“, so der Künstler.
Richtig. Zum Allgemeingut der schwäbisch-alemannische Fastnacht gehört beispielsweise das Sprüchle (auch im Liederbuch der Narrenzunft enthalten): „S'guckt e Arsch zum Fenschder naus, ma meint des isch e Weck, es isch kei Weck, es isch kein Weck, es isch der Arsch vum Schlegele-Beck.“ Und der „Schwäbische Gruß“ steht bekanntlich für den Ausdruck „Leck mee am Arsch“. In die Weltliteratur schaffte es die blanken Rundungen gar über Johann Wolfgang von Goethe, in dessen „Götz von Berlichingen“ das Zitat fällt: „Er aber, sag's ihm, er kann mich im Arsche lecken!“. Seither ein geflügeltes Wort.
Mit den zwei Hinterbacken haben sich von den Griechen bis zu den Malern der Renaissance und der flämischen Schule beschäftigt, arbeiteten sie sich an ihnen ab, auch der Kultursender Arte widmete sich erst kürzlich in einer Dokumentation dem „Blickfang Po“. Beschreibung: „Das Objekt der Begierde, es wird hier äußerst lustvoll als Popo-Parade präsentiert.“
Aus der Karikatur ist diese Parade ebenfalls nicht wegzudenken, sei es als „Arsch mit Ohren“ oder den Bildnissen von Peter Klier, der mit vielen prallen Popos den Mythos Richard Wagners in die Moderne übersetzt -- zum Entsetzen mancher Anhänger.
Auch Jürgen Frankenhauser-Erlitz bedient sich in der Kunst und zitiert den Bildhauer Peter Lenk: „Ist nicht die Aufdeckung der im Gesäß massiv verwirklichten Leibhaftigkeit der Menschen eine letzte und klarste Möglichkeit unverhüllte Ehrlichkeit? Der Kopf kann lügen – sein Gegenteil nicht, denn da kommt alles raus.“
Der Hintern ist also zweifellos ein wichtiges Teil in unserer Kulturgeschichte, die Auseinandersetzung reicht von der banalen Beleidigung („Du Arsch!“) bis hin zum pilosophischen Diskurs, von einer einfachen Strichzeichnung bis hin zur meisterlichen Gemäldeform. Eine Provokation? Oft ja, aber gewollt und genüsslich ausgebreitet. Und damit in der Fasnet bestens aufgehoben. Steht sie doch per se für das Aushebeln der bürgerlichen Gesetze, denen sie mit närrischem Lachen die Rückseite zeigt.
Schwieriger ist es da mit den Blutreiter-Bildern, die auch innerhalb der Volkshochschule für Kontroversen sorgten, in einem öffentlichen Gebäude soll Frankenhauser-Erlitz in Weingarten offenbar nicht mehr ausstellen, er fehlt am Wochenende bei der Museumsnacht. „Das macht nichts, ich muss ja nicht jedes Jahr dabei sein“, sagt der Künstler -- der dafür am 1. Oktober seine Premieren bei der Ravensburger Museumsnacht feiert. Und wie gewohnt ein „provokantes Projekt“ verspricht.
Ein bisschen Frankenhauser-Erlitz gibt es bei der Museumsnacht in Weingarten aber auch, das Fasnetsmuseum ist geöffnet – und verkauft die „Plätz am Fiedla“. Aber Achtung: Die Anstecker, deren Erlös ins Museum fließt, gibt es nur in limitierter Auflage – und am ersten Verkaufstag waren ratzfatz 80 Stück weg. Also, bewegen Sie Ihren, pardon, Allerwertesten zu den Plätzlern, der Hintern ist ein begehrtes Objekt.
(Erschienen: 03.07.2010 13:20)